„Zumbar? Was ist soll das denn sein?“, fragte Keule und rückte näher an Schmüsli heran. Sie standen jetzt Rücken an Rücken und musterten die Gestalten im Funkenschlag. Ein lauter Beat ertönte. Es folgten fröhliche, verzwirbelte Töne. Und weiter ging es mit einem starken Rhythmus. Das Mausemonster spürte einen Druck auf ihrem Körper. Dann folgte ein starkes Verlangen. Die Töne lockten sie, tanzten frech in einem Reigen um sie herum. Und ohne es zu wollen, begann sie auf einmal sich zu bewegen. Sie tippte mit ihren Füße im Rhythmus der Musik auf den Boden, kreiste ihre Hüfte, nickte mit dem Kopf, wirbelte ihre Arme, klatschte, drehte sich und jauchzte dabei.
Das Seltsame war, Schmüsli war nicht die Einzige, die sich so komisch verhielt. Der Rastafantastico kreiselte mit seinem Kopf auf dem Boden. Die Feiglinge wippten im Beat, der Bergzwerg mimte eine Hebefigur auf dem Tresen und die Trolle tanzten eng umschlungen. Selbst Keule bewegte sich. Es sah lustig aus. Denn er war ja kein Tanzbär. Er hüpfte einfach nur von einer Tatze auf die andere, drehte sich dabei im Kreis und rief „Oioioi“. Plötzlich riss er seine mächtigen Klauen nach oben, was ihn wie einen Priester bei einer heiligen Zeremonie aussehen ließ.
Schmüslis Blick fiel auf Ricky, der unglaubliche Moves drauf hatte. Er ließ sich in die Knie gehen, kam beim nächsten Beat in die Drehung und kreiselte drei Runden um seine eigene Achse. Dann zeichnete sein Körper Wellen nach und er ging langsam zu Boden. Um wiederum auf einen Schlag nach oben zu springen und dabei einen Salto zu vorführen. Wow, was für eine Show!

Die Musik wurde immer schneller. Und Schmüslis Körper passte sich den Beats an. Sie jagte über das Parkett: Wendungen, Pirouetten, Slides, Klatschen, Hüpferle, Arschwackler, Body-Shakes. Immer weiter und weiter. Ihre Füßen folgten einem geheimnisvollen Plan. Immer schneller und schneller. Sie fühlte sich wie eine Besessene, die keine Macht mehr über ihren Körper hatte. Immer kraftvoller und voller Energie. Ihre Muskeln schmerzten, doch sie konnte nicht anhalten – bis es auf einmal knallte. Die Musik verstummte.
Die Gäste des Funkenschlags hielten gleichzeitig innen. Was war hier passiert? Ein diabolisches Lachen durchdrang die Stille. Es war Mister Knister, der auf das Mausemonster zeigte. Schmüsli verschlug es die Sprache: Ihre letzten Schritte waren so schnell gewesen, dass sie den Boden entzündet hatten. Sie hatten eine Spur des Feuers hinterlassen.
„Keule? Wo bist du? Geht es dir gut?“, rief sie nach ihrem Freund. Die Flammen versperrten ihr die Sicht. Sie sah nur Fratzen und verzerrte Gesichter in dem Wall aus gelben, orangefarbenen und roten Blitzen. Der Grizzlybär antwortete nicht. Nur das grässliche Lachen von Ricky war zu hören. Der Geruch von verbranntem Fell stieg Schmüsli in die Nase. „Keule! Hilf mir! Ich glaub, ich fang‘ Feuer“, schrie sie panisch.
„Wuuuuarrrg!“ Auf Keules lauten Kampfschrei folgte ein Schwall Wasser. Das Feuer fiel in sich zusammen und eine Mauer aus Dampf nahm seinen Platz ein. „Mausemonster!“ Komm hier her!“, rief der Grizzlybär und Schmüsli folgte seiner vertrauten Stimme. Endlich wurde die Sicht klarer und sie sah, wie ihr Freund mit einem Eimer in der Hand auf der Theke stand. Sofort sprang sie hoch zu ihm und stellte sich ganz dicht an seine Seite.
„Genug!“, schrie Mister Knister. Und mit einem Schlag war auch das restliche Feuer komplett verschwunden. Ricky stand in der Mitte des Raumes und schüttelte den Kopf „Ihr Spaßbremsen …“
„Spaß?!“ kreischte Schmüsli. „Wir hätten alle verbrennen können. Wie LUSTIG!“
„Niemand verbrennt im Funkenschlag“, widersprach der Gastgeber. „Und außerdem bist du schuld. Es war deine Tanzspur, die Feuer fing. Deswegen glaube ich dir auch nicht, dass du zwei linken Füßen hast. Du warst es, die ich bei den Meisterschaften gesehen habe. Und was wäre, wenn ich deinen Verstoß jetzt melde?“
„Wir gehen!“, erwiderte Keule tonlos und half Schmüsli von der Theke.
„Wir gehen!“, wiederholte sie, weil ihr nichts besseres einfiel.
„Ja, es steht euch frei zu gehen. Aber ihr wisst immer noch nicht, wie ihr an euer Ziel kommt. Und darum frage ich euch noch einmal: Was wollt ihr auf Burg Schnetzelgemetzel?“ fragte Ricky.
Schmüsli schnaubte: „Die Schniefmutter hat meinen Monster-Mann geklaut.“
„Was für eine absurde Geschichte! Warum sollte sie das tun?“, hakte Mister Knister nach.
„Er soll Schaudermusik auflegen“, antwortet das Mausemonster. Für einen Augenblick hielten alle im Raum die Luft an.
„Also sind die Gerüchte war“, murmelte Ricky. „Sie will uns alle vernichten. Den ganzen Fliederwunderwald. Und unsere Hoffnung liegen in der Hand eines Mausemonsters und eines Grizzlybären – wie beruhigend.“
„Hey!“, protestierten beide im Chor.
„Was heißt denn hier vernichten? Es ist doch nur Musik. Schreckliche Musik, na klar, aber was können Töne schon ausrichten?“, fragte Schmüsli.
„Was Töne ausrichten können?!“, fragte Ricky.
Und da wurde es Schmüsli auf einmal bewusst. Es ging hier um mehr als um die Befreiung ihres Schmatzes. Sie waren alle in größter Gefahr. Wenn es eine Musik gab, die über ihren Körper Besitz ergreifen konnte. Dann musste es auch möglich sein, eine Musik zu spielen, die Lebewesen vernichtete. Ihre Beine waren auf einmal sehr kraftlos. Sie sackte zusammen und fiel auf ihren Hintern. Deswegen hatte die Schniefmutter also ihren Schmatz entführt.
„Wie motivierend deine Worte doch sind. Man könnte meinen, du stehst auf der Seite der hässlichen Alten. Willst du uns nun verraten, wo wir sie finden? Anderenfalls ziehen wir weiter. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Es war Keule, der wie immer die Beherrschung wahrte.
„Burg Schnetzelgemetzel ist eine finstere, dunkle Wolke. Der Weg dorthin ist weit. Ihr müsst die Wüste des Todes überqueren. Wenn ihr dort nicht verdurstet, wird euch einer der Skorpione töten oder ein Sandsturm verschluckt euch, noch bevor ihr die erste Nacht erlebt habt. Anschließend müsst ihr zur Herrscherin aller Weltmeere, die tief auf einem Meeresboden lauert. Gelingt es euch bis nach dort unten zu tauchen, ohne zu ersticken oder von einem Hai zerrissen zu werden, dann wird sie euch ihr Geheimnis nicht freiwillig verraten. Denn nur sie weiß, wie ihr in die Höhe kommt.
Die Burg ist gut bewacht. Meterhohe Rübezahle stehen vor den Toren. In ihren Händen Keulen so groß wie Urwaldbäume. Sie sind bereit jeden zu zerquetschen, der sich ihnen in den Weg stellt. Und dann wartet da noch die Schniefmutter. Die dunkle Königin spürt, wenn Fremde ihr Reich betreten und wird ihren Gefangenen sicherlich nicht freiwillig wieder nach Hause gehen lassen. Die Legende besagt, sie beherrsche die dunklen Mächte. Allein ihr Auftreten kann den Boden zum Erzittern bringen. Eine Handbewegung von ihr und ein donnernder Blitzschlag lässt ihre Gegner zu Boden gehen. Ein gar scheußliches Wesen ohne Furcht und Gewissen.“
Ricky Knister beendete seine Ausführung. Ein bisschen zu detailgetreu, fand Schmüsli. Keule hingegen zuckte mit seinen Schultern. „Wo geht’s lang?“ fragte er.
„Wie töricht …“, säuselte Mister Knister und strich sich über sein Kinn. „Du willst dich diesem Todesurteil einfach hingeben? Ihr werdet die Wüste des Todes nicht lebendig durchqueren. Daher der poetische Name. Aber …“ Er machte eine Pause und schaute seine Gegenüber an. Dann lächelte er, als würde er sich an ihrer Furcht erfreuen.
„Aber …“, setzte er fort „Ich wüsste da einen anderen Weg für euch.“
„Welchen Weg? Wenn ich die Wüste nicht bezwingen kann, dann gehe ich eben jeden anderen Weg dieser Welt. Nichts wird mich davon abhalten, das Monster meines Lebens zu befreien“, erklärte Schmüsli aufgeregt.
Ricky schüttelte den Kopf. „Behalte deine Worte noch gut in Erinnerung. Dir stehen harte Zeiten bevor. Aber da ihr mich heute hervorragend amüsiert habt, werde ich euch von dem geheimen Gang erzählen, der unter der Wüste durchführt und euch direkt an das Meer bringt. Am seinem Ende müsstet ihr die Festung in den dunklen Wolken bereits sehen. Geht zum „Underground“. Eine Tagesmeile nördlich von hier. Ihr findet dem Eingang am Fuße des Todesberges. Sucht dort nach dem Wüstenkobold. Er wird euch den Weg zeigen. Mehr kann ich nicht für euch tun.“
Schmüsli verbeugte sich. „Danke“, sagte sie leise.
Sie schaute zu Keule hoch, der Mister Knister eindringlich betrachtete. So als wolle er sich den Kerl gut einprägen, um ihn im Notfall wieder zu erkennen. Wie auf ein geheimes Kommando drehten sich beide schließlich um und verließen den Funkenschlag.
Weiter geht’s mit „Der Bauchkrauler“
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