Schmüsli trat aus dem Bau und ihr stockte der Atem. So viele Gestalten hatte sie hier im Fliederwunderwald noch nie gesehen. Sie füllten die gesamte Waldlichtung, so dass nur wenige Sonnenstrahlen den Boden berührten. Sie wusste genau, warum alle gekommen waren. Sie wollten sehen, wie Schmatz und Schmüsli sich das Versprechen für den ewigen Monsterbund geben.
Das Mausemonster wagte es nicht, sich der schnatternden Meute zu nähern, sondern musterte sie aus der Ferne: Regenbogenunken, die vor Aufregung ständig die Farbe wechselten, Vorgartenriesen im feinen Anzug, umherflatternde Sternenträger-Vögel, Knutschelchinnen im engen Glitzerkleid, Tanztrolle in Lederkluft, Holzbergzwerge in sauberer Kleidung. In den hinteren Reihen versteckten sich die weniger freundliche Gestalten: schmächtige Spargeltarzane, Schlechtwetterknilche, zu klein geratenen Giftzwerge, graublasse Bedenkenträger und tratschende Quälgeister.
Ob die wirklich nur wegen uns gekommen waren?, fragte sich Schmüsli. Einige von ihnen trieb sicherlich die Neugier. Denn für sie war es gegen das Naturgesetz, das zwei so unterschiedliche Monstergattungen sich für immer vereinten.
Allen Unwissenden sei hierbei erklärt: Auf einen ersten, flüchtigen Blick schienen Schmatz und Schmüsli sehr ähnlich. Sie waren beide kleine pelzige Monster, mit spitzen Zähnen und großen, unschuldigen Augen. Doch Schmüsli war ein Mausemonster und Schmatz ein Schmausemonster. Die Experten unter uns wissen natürlich, dass dieser Unterschied von immenser Bedeutung ist.
Mausemonster fallen vor allem durch ihre Leidenschaft zur Schokolade auf. Oftmals können sie dank der dunkelbraunen Flecken im Fell schnell identifiziert werden. Schmausemonster hingegen pflegten ihr Fell täglich, damit es seidig glänzte. Auch sie liebten es, zu essen, doch war es ihnen egal, um was es sich handelte. Lange Zeit gab es zahlreiche von Schmausemonster im Fliederwunderwald, bis eine Hungersnot fast alle dieser friedlichen Lebewesen dahinraffte. Der amtliche Monsterschutz wurde aktiv und stellte diese Gattung unter Naturschutz. Und ganz besonders selten waren die Rotgelockten, zu denen auch Schmatz gehörte.
In jedem Fall waren sich all die Knilche, Giftzwerge und Spargeltarzane einig, dass eine Verbindung zwischen einem Mausemonster und einem Schmausemonster Unglück über den gesamten Wald bringe würde.
Schmüsli schüttelte den Kopf. Das war natürlich absoluter Blödsinn. Denn sie und ihr Schmatz gehörten zusammen wie die Schokoladenglasur auf dem Marmorkuchen.
„Schmüsli? Worüber grübelst du nach?“, riss Schmatz seine Braut aus den Gedanken. Er strich über einen Schokoladenfleck auf ihrem Fell und fragte: „Alles gut bei dir?“
Schmüsli nickte. „So viele Gäste“, murmelte sie.
„Hauptsache wir müssen nicht für alle das Essen bezahlen. Du weißt doch, meine Verwandtschaft frisst schon jedem die Haare vom Kopf“, lachte Schmatz und griff nach Schmüslis Pfote. „Komm wir gehen!“
Zusammen schritten sie durch die aufgeregte Menge geradewegs auf die alte, knochige Eiche zu. Dort stand Keule. Er war ein Zerberus-Bär und guter Freund der beiden Monsterfamilien. Heute hatte er sich in einen edlen Anzug hinein gequetscht, was ungewöhnlich aussah, denn Keule war so kräftig, dass die Knöpfe nur mit Mühe seine Weste zusammenhielten. Er strich sich durch das fein gekämmte Haar und warf zum wiederholten Mal einen Blick in ein Notizbuch. Als Schmatz und Schmüsli vor ihm standen, schaute er ernsthaft in die Runde. Die Gäste verstummten schlagartig. Besser war das. Keule kannte viele Wege, ein Lebewesen zum Schweigen zu bringen. Der Bär räusperte sich: „An diesem wundervollen Sommermorgen haben wir uns zusammengefunden, um unsere Freunde, den ehrenwerten Schmatz und seine liebreizendeFrau Schmüsli, den ewigen Bund schwören zu lassen.“
Ein Raunen war zu hören. Oder besser gesagt, ein Kichern und Geschnatter, ein Säuseln und Brummen, Gezwitscher und Gegrunze. Keule ließ seinen Blick von links nach rechts schweifen und in der gleichen Reihenfolge verstummten die Geräusche so schnell wie sie gekommen waren.
„Ich möchte euch nun das traditionelle Monstergelübde vorlesen. Bitte sprecht es mir nach. Seid ihr bereit? Schmüsli? Schmatz?“
„HAAATSCHI!“
Noch bevor einer der beiden antworten konnte, gab es einen alles durchdringenden Knall. Es donnerte so laut als würde ein Riesenelefant Schnupfen haben. Ein unausstehlicher Gestank zog auf. Es roch nach faulen Eiern und Erbrochenen. Mit einem Male verdunkelte sich die Waldlichtung und alle schauten zum Himmel, wo ein scheußlicher Körper sich vor die Sonne geschoben hatte.
Weiter geht’s mit dem zweiten Kapitel „Der Monsterbund (Teil 2)“