Von der Leichtigkeit des Autorenseins

Da hat uns der alte Goethe aber ein schweres Erbe hinterlassen. Dank des deutschen Vorzeigedichters hält sich hartnäckig das Gerücht, Schreiben dürfen nur diejenigen, die Talent haben. Ich stelle es mir so vor: Goethe spaziert beschwingt durch den Thüringer Wald, beobachtet ein fantastisches Naturschauspiel und notiert seine klugen Gedanken. Zack, Gedicht fertig.

Er reibt uns diese Leichtigkeit sogar frech unter die Nase: »Ich ging im Walde / So für mich hin / Und nichts zu suchen  / Das war mein Sinn.« Goethe konnte ja nix dafür, dass er sofort inspiriert war und Gefühle in Zeilen verwandelte, die die Welt heute noch bewegen. Vor allem ist es nicht seine Schuld, dass es mir nicht so einfach gelingen will. Denn wenn ich das Blümlein im Walde sehe, lässt der perfekte Vierzeiler auf sich warten.

Gut, vielleicht ist die Natur einfach nicht mein Thema. Was mich allerdings vielmehr verunsichert, ist der Schreibprozess: Schließlich hatte Goethe keinen Rechner, wo er die Worte hin und her schieben konnte, über einen Mausklick Synonyme zur Verfügung hatte und gekringelte Linien ihn auf seine eh nicht vorhandenen Schreibschwächen hinwiesen.

Hätte der Dichter gewusst, wie groß sein Einfluss auf die heutigen Nachwuchsautoren sein würde, vielleicht hätte er sich den folgenden Satz verkniffen: »Wer nicht eine Million Leser erwartet, sollte keine Zeile schreiben.«  Sofort spüle ich meine Überzeugung, »Es reicht, mit einem Text nur wenige Menschen zu begeistern« im Klo herunter. Ich schaue den kreiselnden Wasserströmungen hinterher und frage mich: Was nun?

Anderen Schreiberlingen in meiner Umgebung geht es ähnlich. Keiner nennt sich selbstbewusst Autor, auch wenn er schon veröffentlicht hat. Alles nur sicherheitshalber, um nicht des Größenwahns überführt zu werden. Wie anmaßend ist es dann, an diesem Traum weiter festzuhalten. Besser ich legte den symbolischen Stift gleich aus der Hand und akzeptierte das Urteil »Nicht schlecht, aber talentfrei«.

Da begegnet mir Hemingway. »The first draft of anything is shit«, soll er gesagt haben. Und darüber hinaus: »Das Schreiben ist das Härteste, was es gibt!« AHA! Mit einem Taschentuch in der Hand verabschiede ich das Schreckgespenst der aus mir strömenden Wortperfektion. Tschüss! Mach es gut. Aber ich will dich nie wieder sehen, denn du hältst mich nur auf. Nachdem es weg ist, setze ich mich an den Schreibtisch. Meine Mission: Handwerk lernen und Autorin werden.

Der Friedensnobelpreisträger ermöglicht mir, ein neues Bild zu kreieren. Hemingway war Boxer und ich finde, das lässt sich gut auf das Schreiben übertragen: Wer einen überzeugenden Text verfassen will, muss sich mit Füllwörtern, Phrasen und langweilige Plots herumschlagen, außerdem regelmäßig den inneren Schweinhund besiegen. Das ist hart. Manchmal geht einem die Puste aus oder man bekommt ein blaues Auge. Doch mit der richtigen Technik und Durchhaltevermögen ist es möglich, das Spiel für sich zu entscheiden. Es braucht keine göttliche Eingebung. Das spornt mich an.

Deswegen steige ich jetzt in den Ring. Dort erlaube ich mir Momente des Ausprobierens und des Scheiterns. Vor allem aber bewahre ich mir die Freude am Tun, genauso wie am Besserwerden, auch wenn ich nicht die Beste bin. Bleibt nur noch die Frage: Wer ist noch dabei?